ABCDE – Das System-of-Systems Alphabet
Es sind 5 Kerneigenschaften, die das Konzept „System of Systems“ (SoS) bereits seit den 1950er Jahren prägen, um Systeme zu beschreiben, die sich aus unabhängige Systemen zusammensetzen, und die in Wechselwirkung auf ein gemeinsames Ziel hinwirken. Nehmen wir die Logistik eines Unternehmens: Gemeinsam mit den Lieferanten soll zeit- und kundengerecht ein Produkt erstellt und ausgeliefert werden. Dabei haben Ein-/Verkauf, Logistik, Produktion und Customer Service abgestimmt miteinander zu kooperieren. Zahlreiche Beispiele für SoS finden sich in den Bereichen Energietechnik, Verkehr, Produktion und Internet-of-Things-Anwendungen. Modelle spielen bei der Erstellung von SoS eine entscheidende Rolle, denn sie erlauben Abstraktion und Verfeinerung, um das Zusammenwirken digital zu gestalten und dynamisch zu unterstützen.
SoS sind überall dort ein Thema, wo es auf die Erbringung einer Leistung durch Integration unabhängiger, typischerweise bereits operational umgesetzter Systeme ankommt. Wirtschaftlich und gesellschaftlich essenzielle Bereiche, wie cyber-physische Infrastrukturen, Gesundheitswesen, Transport und Krisenmanagement stützen sich auf die Interaktion von mehreren separat geführten und verwalteten Systemen. Aktivitäten wie Ressourcen-Identifikation und –Zuordnung sowie Informationsaustausch erfolgen in unterschiedlichen Kontexten, um die Koordination zur gemeinsamen Zielerfüllung sicherzustellen – SoS Engineering stellt somit eine Herausforderung für viele Unternehmen dar. Dabei ist Autonomie aus mehreren Gesichtspunkten zu beachten:
- Operative Unabhängigkeit. Jedes System, das Teil eines SoS ist, ist unabhängig, entsprechend der Zerlegung des SoS in zugehörige
Systeme.
- Unabhängigkeit des Managements. Trotz der Zusammenarbeit mit den anderen Systemen des SoS, sind die einzelnen Systeme
selbstverwaltend und als eigenständige Einheiten zu betrachten – sie arbeiten auch voneinander unabhängig. - Geografische Verteilung. Die Systeme, die in einem SoS zusammenarbeiten, sind zumeist geographisch auch über große Distanzen
verteilt. Kommunikation und Informationsaustausch sind daher essenziell für den Betrieb eines SoS. - Evolutionäre Entwicklung. Die Entwicklung eines SoS ist evolutionär, da sich Ziele und Funktionalität ständig ändern können. So können
Elemente im Rahmen seines Einsatzes hinzugefügt, geändert oder entfernt werden – ein SoS ist in diesem Sinne niemals ‚vollständig‘. - Emergentes Verhalten. Durch die Zusammenarbeit zwischen den Systemen in einem SoS werden Synergien realisiert, durch die das Systemverhalten einen Zweck erfüllt, der nicht durch eines der einzelnen Systeme alleine erreicht oder einem dieser Systeme exklusiv zugeschrieben werden kann.
Anforderungen
Typische Anforderungen, denen SoS genügen müssen, sind Vorgaben bezüglich Reaktionszeiten oder Gewährleistung von Vertraulichkeit von Daten, die unterschiedlich Systeme betreffen. So stellt es für SoS-Entwickler eine besondere Herausforderung dar, die Grenzen eines umfassenden SoS und der darin enthaltenen unabhängigen Bestandteile zu bestimmen. Diese Grenzen beziehen sich dabei sowohl auf technische Aspekte wie Schnittstellen und Integration von Komponenten als auch Test- und Managementaspekte wie Governance und Einbeziehung von Stakeholdern. Weitere Herausforderungen betreffen den Systembetrieb bezüglich Korrektheit von Verhalten sowie Qualität von Leistungen und deren Validierung, da dies überwiegend modellbasiert erfolgt.
Kritisch sind die Wechselwirkungen zwischen unabhängig, verteilten und sich gleichzeitig entwickelnden Teilsystemen und ihrer Stakeholder. Meist gehören die verteilten Teilsysteme in einem SoS zu unabhängigen Unternehmen und werden von unterschiedlichen Stakeholdern betrieben. Daraus resultieren oft Einschränkungen bezüglich Informationsaustausch. Bei der Modellierung gilt daher besonderes Augenmerk dem SoS-Verhalten an Systemgrenzen und damit verbundenen Phänomenen wie Verzögerungen, Inkompatibilität von Datenformaten etc. Modellierungstechniken haben folglich Stakeholder mit durchaus konkurrierenden Interessen und Prioritäten zu berücksichtigen. Somit empfehlen sich verhaltensorientierte Modellierungsansätze, welche die Kapselung von Abläufen und damit den Schutz von Know-How ermöglichen, den Informationsaustausch mit anderen Systemen aber transparent unterstützen.
Da bei SoS keine zentralisierte Autorität über alle Systeme gegeben ist, erhöht sich bei mehreren Systemen eines SoS rasch die Komplexität. Damit rückt die Beherrschbarkeit von SoS in das Zentrum der Betrachtung. War es beispielsweise anfänglich im Krisenfall ausreichend, Feuerwehr, Polizei, und Rettung zu koordinieren, so sind es heute zusätzlich Krankenhäuser, medizinische Experten und soziale Medien, die zu koordinieren bzw. zu berücksichtigen sind. Bei Infrastrukturen wie Verkehr kamen zu den traditionellen Verkehrsleitsystemen Mobilitätsdienste, die unterschiedliche Modalitäten verwalten, hinzu. Jüngste Anwendungen des SoS-Engineering betreffen den Transport kritischer Gesundheitsgüter (Masken, Tests, Impfstoffe, Intensivmedizin-Artikel etc.). Entsprechende Modelle haben somit spezifische Verhaltensmerkmale und Leistungsanforderungen an SoS und damit deren konstituierenden Systeme inklusive deren Dynamik zu berücksichtigen.
Kollaboratives Arbeiten
Obwohl SoS in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt werden und sich in ihrer Architektur stark unterscheiden können, besitzen die technischen Gestaltungsanforderungen einige Gemeinsamkeiten. Dazu zählt die Notwendigkeit, die Schlüsseleigenschaften des SoS zu gewährleisten, und zwar unter Wahrung der operativen und verwaltungstechnischen Unabhängigkeit der Teilsysteme, d.s. der verteilte Charakter, die operative Gleichzeitigkeit und die Heterogenität. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Einsatz von Methoden und Werkzeugen, die das kollaborative Arbeiten der beteiligten Akteure unterstützen, beginnend mit der Ermittlung von Anforderungen bis zum SoS-Einsatz und der SoS-Weiterentwicklung.
Modelle bilden reale Objekte oder Phänomene bis zu einem bestimmten Grad ab. Sie können die SoS-Gestaltung und Entwicklung unterstützen, indem sie potenzielle Systeme beim Entwurf beschreiben. Sie decken dabei unterschiedliche Aspekte eines SoS ab, wie seine Struktur, Funktionalität, Kommunikation und Verhalten. Um die Gesamtkomplexität eines Systems zu verwalten und zu steuern, ist bereits im Modell die Schlüsselstruktur und das Verhalten des SoS darzustellen und an die Stakeholder zu kommunizieren. Insbesondere das Verhalten hat die SoS-Dynamik, und damit die Verwendung von Modellen und deren Inhalte im Rahmen der Weiterentwicklung zu berücksichtigen, um umfassend Mehrwert aus der Modellierung zu generieren.